Ernährung der Menschheit: Diese Ideen könnten bald die Welt verändern

Über die Erzeugung unserer Lebensmittel wird immer viel gestritten: Diskussionen über Massentierhaltung, Bienensterben, Austrocknung der Böden, giftige Düngemittel oder auch Mangel- und Überernährung erhitzen immer wieder die Gemüter. Gibt es eine Möglichkeit, den Streit um unsere Zukunft ein für alle mal zu lösen? Vielversprechende Ideen aus der Forschung lassen darauf hoffen.

An Ideen mangelt es der Menschheit schon mal nicht: Selbst an Orten, die für Menschen lebensfeindlich sind, untersuchen Forscher, ob sie auch dort Nahrung erzeugen können – sogar im Weltall. Erst im November startete das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum eine Rakete, die den Satelliten Eu:CROPIS samt Tomatenstauden ins Weltall katapultierte.

Tomaten aus dem All? Eine irre Idee? Auf keinen Fall: Wissenschaftler und Erfinder sind erstaunlich kreativ bei der Suche nach neuen Möglichkeiten der Nahrungsmittelerzeugung.

In diesem Artikel wollen wir dir zeigen, welche Ideen, Lösungen und Technologien noch entwickelt wurden, um das Nahrungsmittelproblem ein für alle mal zu lösen. Wir haben sechs unter vielen ausgesucht. 

Idee 1: Vertical-, City- oder Urban-Farming. Sollen Städte ihr Gemüse einfach selbst anbauen? 

Sehen so die Bauernhöfe der Zukunft aus? Unter Schlagworten wie "Urban Farming" oder "Vertical Farming" sind in vielen Städten Farmhochhäuser entstanden – z.B. in München oder London. Die Londoner Firma Growing Underground betreibt ihren Gemüseanbau von Petersilie, Brunnenkresse und Rucola gar in stillgelegten Tunneln und Bunkeranlagen. Die Gärtner arbeiten dort nicht im Freien, sondern in bis zu 33 Metern Tiefe unter der City – ohne Harke und ohne Pflug und komplett unabhängig vom Wetter.

Jede Großstadt könnte ihr Gemüse somit in Zukunft selbst anbauen. Auf Pestizide könnte komplett verzichtet werden, Ernteausfälle gibt es im Grunde nicht und selbst Sonnenlicht ist für das City-Farming von morgen keine Voraussetzung mehr: Die Pflanzen gedeihen nämlich unter speziellen LED-Lampen.

Viele Experten sind allerdings der Ansicht, dass der Anbau von Weizen, Reis und Mais sich jedenfalls nicht für diese Art von Produktion eignet. Außerdem sind die bislang erzeugten Mengen noch viel zu gering, um wirklich eine ganze Stadt satt zu machen. Aber immerhin: Jedes Stück Obst oder Gemüse, dass in der Stadt angebaut wird, befindet sich in nächster Nähe am Käufer und muss nicht extra um die halbe Welt verschifft werden. Damit wäre Vertical Farming eine sinnvolle Ergänzung für die „normale” Landwirtschaft.

Idee 2: Fleisch aus dem Labor

Tierhaltung, besonders von Rindern, ist nicht gut für die Umwelt. Ein Rind braucht etwa siebenmal mehr Proteine im Futter, als sie selbst Fleisch erzeugen und die Kuh produziert viele Gase. Bis zu 20 Prozent der weltweiten Treibhausgase kommen aus der Tierhaltung. Viele gute Gründe also, nach Alternativen zu suchen.

So gibt es mittlerweile Labore, die essbares Fleisch in Petrischalen züchten, ohne ein einziges Tier dafür töten zu müssen. Für künstliches Rinderhack benötigt man nur ein wenig Nackenmuskulatur einer ausgewachsenen Kuh. Aus dem Gewebe kommen sogenannte Stammzellen, die über Wochen zu Muskelfasern heranwachsen. Muskelfasern sind sehr fein und sehr sehr klein. Man benötigt ca. 20000 Stränge für nur einen Burger und es vergehen knappe 3 Monate bis zur fertigen Bulette. Eine relativ kurze Zeit, wenn man bedenkt, dass eine Kuh zwei Jahre Aufzucht bis zur Schlachtreife benötigt.

Ist das jetzt die Zukunft? Der erste fleischlose Burger kostete ca. 250.000 Euro. Die Technik wird zwar mit der Zeit immer günstiger, doch wollen die Menschen wirklich Fleisch aus dem Labor essen? Die Zahlen sprechen zumindest dafür: Forscher der Universität Oxford haben ermittelt, dass diese Methode 45 Prozent weniger Energie verbraucht, 96 Prozent weniger Wasser und 99 Prozent weniger Anbaufläche, als die herkömmliche Produktion von Fleischprodukten. Der Nutzen ist also eindeutig. Jetzt kommt es auf die Wissenschaft an, die Methode so zu verfeinern, dass eine wirtschaftliche Erzeugung möglich wird.

Idee 3: Roboter auf dem Feld

Wenn es einen digitalen Vorreiter gab, dann waren das die Bauern. Landwirte waren die Ersten bei der Nutzung von GPS-Daten, wodurch z.B. Treibstoff eingespart werden kann, weil die Fahrtwege effizienter berechnet werden.

Überhaupt wird die Digitalisierung dabei helfen, dass Landwirte künftig mehr Ressourcen einsparen. Längst gibt es eine ausgeklügelte Mess- und Sensortechnik, die dafür sorgt, dass Pflanzenschutz- oder Düngemittel genau so dosiert werden können, wie sie an Ort und Stelle gebraucht werden. Außerdem erlaubt die intelligente Zusammenführung von Maschinen- und Wetterdaten eine präzisere und damit auch schonendere Bearbeitung des Bodens. Drohnen, die über die Äcker fliegen, ausgestattet mit Infrarot und intelligenten Kameras tragen heute schon dazu bei, dass Pflanzen effizienter mit Nährstoffen versorgt, weniger von Schädlingen befallen und damit auch ertragreicher werden – und das bei besserem Umweltschutz.

Eine EU-Studie kommt sogar zu dem Schluss, dass bis zu 80 Prozent aller chemischen Ukrautvernichter in Zukunft eingespart werden können – wenn die Robotik auf dem Feld zunimmt und Unkraut automatisch beseitigt, genauer: mechanisch (also ohne chemische Mittel) aus dem Boden „entfernt” wird. Ein solcher Umschwung würde gleichzeitig die Umwelt schonen und die Kosten im Ackerbau reduzieren.

Idee 4:  Pestiziden dank der Technologie reduzieren

Die Zeit, in der Landwirte großzügig Pestizide auf dem Acker verteilten, scheint immer mehr zu Ende zu gehen. Letztes Jahr setzte die große sogenannte „Pestiziddämmerung” ein: Die Kritik an dem breitflächigen, oft vorbeugenden Einsatz von Ackergiften ist seitdem nicht mehr zu ignorieren. Vor allem das Verschwinden der wichtigen Bestäuber, Schmetterlinge, Vögel und Wildpflanzen, hatte viele Menschen aufgeschreckt und für das Thema sensibilisiert. Der Streit um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat eskaliert immer noch, selbst im Bundestag diskutieren die Abgeordneten über Ackergifte.

Die Technik bietet schon heute eine Reihe von Möglichkeiten, um zumindest die Menge an Pestiziden zu reduzieren. Statt die chemischen Mittel großflächig auf dem Feld zu versprühen wird der chemische Pflanzenschutz bei der Aussaat heute direkt in den Boden injiziert. Ein solches Vorgehen schont auch die Bestände der Wildbienen oder der anderen für die Landwirtschaft nützlichen Insekten, da deutlich weniger giftige Stoffe (z.B. Gaswolken) freigesetzt werden.

Sogenannte Pflanzenschutzspritzen „wissen” bereits im Vorfeld, wo auf den Feldern künftig Unkraut wachsen wird, und verteilen ihre Spritz- oder Unkrautvernichtungsmittel nur dort, wo das „Gift” auch wirklich gebraucht wird. In manchen Regionen lassen sich so heute schon zwischen 60 und 80 Prozent solcher Pestizide einsparen. Doch noch eine andere, im Grunde sehr alte Technik macht derzeit von sich reden: die sog. Hacktechnik. Nur dass heute nicht mehr der Bauer selbst zur Hacke greifen muss, sondern diese lästige, weil körperlich anstrengende Arbeit automatisch erledigt wird: Digitale, kameragesteuerte Systeme finden selbst ihren Weg zwischen die Reihen der Kulturpflanzen und „zerhacken” das Unkraut zielsicher, und zwar nur dort, wo es stört.

Wenn also in Zukunft weniger gespritzt werden muss, ist das auch dem Einsatz Digitaler Techniken zu danken.

Idee 5: Unsere Böden gesünder machen. Fruchtwechselfolge vs. Monokultur

Pflügen, Lüften und andere Bearbeitungsmethoden zerstören wichtige Mikroorganismen im Boden. Viele Experten sind demnach der Ansicht, dass in Zukunft weniger Maschinen zur Bodenbearbeitung zum Einsatz kommen sollten, damit die Mikroorganismen besser ihrer eigentlich Funktion nachkommen können. Die Arbeit der Mikroorganismen lässt sich ein bisschen mit der des menschlichen Immunsystems vergleichen. Sie halten den Boden fit und gesund, indem sie tote Materie wie z.B. Geröll, Steine oder Wurzeln u.a. „verdauen” und in für die Pflanzenzucht wertvolle Nährstoffe umwandeln.

Die Stimulierung mikrobiologischer Prozesse im Boden garantiert gigantische Produktivität. Viele Landwirte bauen auch gar keine Monokulturen mehr an, sondern züchten bis zu sieben oder manchmal mehr Gemüsesorten nebeneinander heran. Seit 2018 fördert die EU Forschungen zum Thema Mischsaaten: Ganz konkret war z.B. ein Projekt dabei, bei dem sehr ertragreiche Gerstensorten, die aber auf einen Pilzbewuchs sehr sensibel reagieren, zusammen mit pilzresistenten Sorten angebaut wurden, um ihre natürlich Schwäche (Pilze) mit Hilfe anderer Pflanzen auszugleichen. Das Ergebnis bei diesem Projekt waren zwar geringere Erntemengen, aber die Pflanzen wurden auch weniger von Pilzen befallen. Kein Wunder also, dass Mischsaaten im ökologischen Landbau schon lange eingesetzt werden.

Insgesamt kann man beim Thema Pflanzenschutz vorsichtig von einer „Pestizidwende” sprechen, die in eine Zukunft mit weniger Gift und mehr Einklang mit der Natur weist. Das ist auch der modernen Technologie zu verdanken.

Idee 6:  Weniger CO2 und Nahrung auf dem Müll

Landwirtschaft hat viel mit Transport, also dem Umschlag vieler Waren in großen Mengen zu tun. Wer all diese Prozesse digitaler und damit automatisierter abbildet, kann am Ende nicht nur den Verkehr, sondern auch seine CO2-Emissionen reduzieren. Weniger und besserer Transport wäre gut für die Umwelt, denn die Zahlen sprechen leider eine deutliche Sprache: die wirtschaftlichen Bedingungen unserer Nahrungsmittelindustrie verzehren noch viel zu viel Ressourcen – allen voran Energie und CO2.

Eine weitere Chance liegt in regionalen Lebensmitteln: Normalerweise sind kleinteilige, oft arbeitsintensive Strukturen klimafreundlicher als riesige, großindustrielle Bauerhöfe. Ein direkter Verzehr auf lokalen Märkten benötigt logischerweise deutlich weniger Ressourcen, als wenn Lebensmittel über aufwendige Transport-, Verarbeitungs- und Kühlketten extrem viel Energie verbrauchen – nur um von A nach B zu kommen. Der aktuelle Weltagrarbericht sieht deshalb viele Chancen in einer klimaschonenderen Bodenbewirtschaftung, bei der wertvolles Ackerland niemals brach liegt, also immer grün ist (gut für Insekten und anderes Getier) und niemals tiefer gepflügt wird, als es unbedingt notwendig ist.

Ob Obst, Gemüse, Fleisch, und Getreide künftig weniger über die Kontinente verschifft und geflogen werden, steht aktuell noch in den Sternen. Fakt ist aber, dass dringend etwas passieren muss. Der durch zu viele Emissionen befeuerte Klimawandel gehört zu den drängendsten Problemen der Menschheit und kann nur gestoppt werden, wenn auch die Landwirtschaft ihren Teil dazu beiträgt.

Zum Schluss: Erst kommt das Brot, dann die Nachhaltigkeit!? 

Zum ersten Mal in der Weltgeschichte sterben mehr Menschen an den Folgen einer Überernährung als an Mangelernährung. Ein zynischer Fortschritt, der uns bloß nicht vergessen machen darf, dass immer noch viel zu viele Menschen (ca. 8.000.000) unter Mangelernährung und ihren Folgen leiden. Bertolt Brecht hat in einem seiner bekanntesten Theaterstücke geschrieben: „Erst kommt das Brot, dann kommt die Moral.”

Selbiges könnte man über Nachhaltigkeit und Umweltschutz sagen: Egal welche Technologien sich am Ende durchsetzen, echter Umweltschutz ist nur dann denkbar, wenn die Teller ALLER Menschen so weit gefüllt sind, dass niemand hungern muss. Insofern haben all die aufgeführten Projekte eine einzige Mission: Sie alle müssen beweisen, dass sie Böden und Umwelt zwar schützen, aber dennoch ausreichend Erträge generieren, dass die Versorgung von 9 Milliarden Menschen sichergestellt ist.

Doch bei der schieren Fülle an Möglichkeiten und Technologien ist es gar nicht so einfach zu sagen, was denn jetzt richtig ist? Für welche Methoden würdest du dich entscheiden, wenn du könntest?

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