Heuschrecken mit Schokolade – Teil 2

Als die Sekretärin des Internats Schloss Marienlund den Kopf zur Tür hereinsteckte, um Felix Morgenstern das Telefon zu reichen, war gerade eine hitzige Diskussion am runden Tisch in Gange. Nelson bellte aufgeregt. Die Earthgang war sich völlig uneins darüber, ob es in Zukunft nun Heuschrecken mit Schokolade oder andere Insekten zum Essen geben sollte. Sie sprachen über ihr neues Projekt im kommenden Schuljahr. Auf das Thema „Ernährung von morgen“ hatten sie sich bereits geeinigt.

Michael Schmidhuber vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen war in der Leitung, um ihren Lehrer Felix Morgenstern über die neuesten Nachrichten aus dem Weltraum zu informieren. Die beiden Männer standen seit dem letzten Besuch der Earthgang beim DLR in regelmäßigem Kontakt. Michael Schmidhuber hatte ihnen damals geholfen, von der Kolumbusstation aus direkt mit dem Astronauten Alexander Gerst auf der ISS Raumstation zu sprechen, um den Fall mit den Bienen zu lösen.

(Das Abenteuer mit den Bienen könnt ihr in dem Buch „Die Biene im Weltall“ nachlesen.)

„Schmidhuber hier“, meldete sich die Stimme am Telefon.

„Michael, was für eine Überraschung!“, freute sich Felix Morgenstern. „Das trifft sich gut, ich hab gerade Zeit für dich. Die Earthgang führt zwar gerade eine hitzige Diskussion zum Thema Ernährung von morgen, doch es wird noch etwas dauern, bis sich die Gemüter zu dem heiklen Thema wieder beruhigen. Ich geh mal vor die Tür, da kann ich dich besser hören.“

„Ja, ja, alle Menschen wollen wissen, ob es noch genug zu essen gibt, wenn die Weltbevölkerung 2050 auf etwa 9 Milliarden angestiegen ist“, antwortete Michael.

„Ich habe gelesen, in großen Städten wird Gemüse schon in Hochhäusern angebaut und anstelle von bedrucktem Papier werden Nudeln aus dem 3D-Drucker ausgedruckt. Es werden ja sogar schon Tomaten in der Wüste von Australien angebaut. Ist das nicht totaler Wahnsinn?“, rief Felix völlig entgeistert in den Hörer.

„Durchaus nicht! Es ist wichtig zu erforschen, ob wir an Orten, die für Menschen lebensfeindlich sind, Nahrung erzeugen können“, widersprach Michael entschieden. „Und zwar auf der Erde und im Weltraum. Eins steht fest: Sollte das Ziel unseres Chefs vom „Dorf auf dem Mond“ oder der Reise zum Mars wahr werden, müssen Menschen weit weg von der Erde etwas zu essen bekommen.“

„Das ist doch reine Fiktion“, entgegnete Felix skeptisch.

„Die irgendwann wahr wird“, setzte Michael dagegen. „Immerhin kreist bald für ein Jahr ein Satellit um die Erde, auf dem Tomaten in einem Gewächshaus unter Mars- und Mondbedingungen gezüchtet werden.“

„Hammer“, entfuhr es Lalit, der an der Tür gelauscht hatte, um herauszufinden, mit wem Felix Morgenstern so angeregt telefonierte. In seiner lebhaften Fantasie sah Lalit das englische Gewächshaus hinter dem Internat Marienlund voller rotmundiger Tomaten und blühender Stauden durch den Weltraum fliegen. „Das würd’ ich gerne sehen“, platzte es aus ihm heraus. Dann war er wieder verschwunden.

„Gute Idee“, hatte Michael Lalits Begeisterung durchs Telefon mitgekriegt. „Felix, komm doch mit Lalit vorbei und schaut euch das zusammen in Köln bei meinen Kollegen an. Eine Zutrittsgenehmigung für euch beide kann ich vielleicht organisieren.“

Gesagt, getan. In der ersten Woche der Sommerferien fuhren Felix Morgenstern und Lalit mit dem Auto nach Köln, um sich dort im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt das Gewächshaus mit den Tomatenstauden anzusehen, das mit einer Rakete, der Falcon 9, in den Weltraum geschossen werden sollte.

Eine Frage der anderen Mitglieder der Earthgang hatte Lalit im Gepäck. Sie wollten unbedingt wissen, ob denn neben den Tomaten auch Salat oder Kartoffeln angebaut werden konnten. Besonders für Nils war das mit den Kartoffeln interessant. Er mochte keinen Salat, daher war es für ihn absolut wichtig zu erfahren, ob auch in ferner Zukunft die Zufuhr von Pommes geregelt war.

Nach einigem Zoff mit Felix Morgenstern war Nelson nun auch mit dabei, obwohl Felix davon überzeugt war, dass der Hund beim DLR in Köln keinesfalls das streng gesicherte Gelände würde betreten dürfen. Notfalls musste der Hund eben in sicherer Entfernung auf dem Parkplatz warten bis sie zurück waren. Auf seinen vierbeinigen Freund hatte Lalit partout nicht verzichten wollen.

Um 10.30 Uhr meldeten sie sich am Haupteingang zum Besuch bei Dr. Hauslage an, der sie bereits erwartete. Lalit und Felix mussten zunächst ihren Personalausweis zeigen. Dann bekamen sie einen Besucherausweis mit ihrem Lichtbild zum Umhängen ausgehändigt. Nelson machte sich so unsichtbar wie möglich, aber es nützte nichts. Schließlich bemerkte ihn der freundliche Herr vom Wachdienst doch. Verdutzt betrachtete er Lalit und Nelson über seine dicke Brille hinweg, die ihre Nummer mit dem flehendlichsten Blick aller Zeiten ausprobierten, die sie draufhatten. Doch so sehr sie sich auch bemühten, Nelson durfte nicht mit.

„Ausnahmsweise kannst du den Hund solange bei mir ihm Wachraum lassen“, drückte der Herr von der Security zwei Augen zu.

„Eine Tarnkappe müsste man haben“, seufzte Lalit.

Nelson versuchte es derweil mit seinem steinerweichenden Leidensblick, doch auch der funktionierte nicht.

„Pinkel noch mal schnell auf den Rasen, bevor wir reingehen“, sagte Lalit leise. Nelson gehorchte, ging mit Lalit vor die Tür und hob schnell das Bein, dann musste Lalit den angeleinten Nelson dem Herrn in Uniform übergeben, der ihn freundlich in Empfang nahm.

„Jetzt macht´s aber halblang, ihr beiden, so schlimm ist das bisschen Warten nun auch wieder nicht.“ Der Wachmann schüttelte schmunzelnd mit dem Kopf und stellte einen Teller mit Wasser vor Nelson hin.

Durch die Glasscheibe des Wachraums schaute Nelson seinen beiden Freunden traurig hinterher, bis sie immer kleiner wurden und schließlich außer Sichtweite waren. Punkt 11.00 Uhr öffnete sich die schwere Stahltür zur Forschungsstation, auf der ein gelbes Schild die Besucher mit warnender Hand hinwies:

Zutritt nur für berechtigte Personen!

Heraus kam Jens, der Leiter des geheimen Experiments, mit dem sie verabredet waren. Er trug ein Polohemd und Jeans. Komisch, dachte Lalit. Er hatte sich irgendwie vorgestellt, dass die Forscher ständig in seltsamen furchteinflößenden Schutzanzügen herumliefen. Jens begrüßte Felix und Lalit freundlich, dann folgten sie ihm in das Gebäude.

Was sie hier zu sehen bekamen, sah wahrhaftig seltsam aus. In einem Forschungslabor befanden sich merkwürdige orangefarbene Rohre mit allen möglichen Ausgängen und Ausbuchtungen, die senkrecht nebeneinander entlang der Wände befestigt waren. Über Schläuche mündeten sie in blaue Fässer, die Lalit an die wasserdichten Tonnen erinnerten, die man fürs Kanufahren benötigt, damit das Gepäck trocken bleibt.

„Hey“, begrüßte sie lächelnd eine junge Studentin, die sich an den Schläuchen zu schaffen machte. Sonst war niemand im Labor.

„Das ist Suse“, sagte Jens. „Wir arbeiten mit der Uni zusammen und manchmal unterstützen uns Studenten bei den Projekten.“

Während Lalit Suse zunickte, wurde ihm plötzlich heiß und kalt. Er hatte eine lange Hundeschnauze entdeckt, die vorsichtig hinter einem Waschbecken hervorlugte und angestrengt die Gerüche im Raum erschnüffelte.

„Huch, du liebe Güte!“, entfuhr es Lalit im Flüsterton.. 

Zu Teil 3 der Geschichte …

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